Der ideale Lernort für Studierende: Ergebnisse einer ZBW-Foto-Umfrage

von Alena Behrens und Nicole Clasen

In diesem Beitrag berichten Alena Behrens und Nicole Clasen vom Team Benutzungsdienste aus der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft über Hintergründe, Methode, Fragestellungen und Ergebnisse ihrer Photo Study unter Studierenden. Der Clou: Die Teilnehmenden durften die fünf Fragen nur mit Fotos beantworten. Textantworten oder -kommentare waren nicht möglich. 19 Studierende haben mitgemacht und 108 Fotos geschickt: davon, wie sie arbeiten, Pause machen und was ihre Feierabendrituale sind. Alena Behrens und Nicole Clasen stellen die interessantesten Erkenntnisse vor, ziehen Schlüsse daraus, wie neue Lernorte in Bibliotheken gestaltet werden müssen, und verraten, welche Rolle Kerzen dabei spielen.

Pandemiebedingte Herausforderungen

User-Experience-Forschung (UX-Forschung) zeichnet sich dadurch aus, dass man viel Zeit mit seinen Nutzer:innen verbringt, auch die Gefühlsebene einbezieht und Verhaltensweisen hinterfragt, um möglichst viel über die Nutzer:innen zu erfahren. Doch wie soll man diese Verbindung aufbauen, wenn Bibliotheken wochenlang geschlossen sind und die Menschen dazu aufgerufen werden, sich physisch voneinander zu distanzieren? Das Team Benutzungsdienste der ZBW hat den Versuch gewagt, UX-Befragungen während der Pandemie durchzuführen.

Herangehensweise und Setting

Durch die zur Durchführungszeit im Herbst 2021 geltenden pandemiebedingten Vorgaben wurde schnell klar, dass das Projekt möglichst online durchgeführt werden sollte. Die Öffnungszeiten der Bibliotheken waren sehr eingeschränkt, es gab nur wenige Nutzer:innen, die die Bibliothek vor Ort zum Arbeiten nutzten, und auch die Mitarbeitenden waren zum Großteil im Homeoffice.

Die Fragestellung lag für uns jedoch auf der Hand: Wie lernen Studierende während der Pandemie zu Hause? Was belastet oder stört an dieser Arbeitssituation? Wie gehen die Studierenden mit diesen veränderten Lernbedingungen ohne Hörsaal und Bibliothek um? Und was können wir daraus lernen, um die zukünftige Gestaltung der Lernräume anzupassen und zu verbessern?

Für diese Fragen ergab sich schnell eine passende UX-Methode: die Photo Studies (Begriff nach Andy Priestner).

Photo Studies von zu Hause

Bei der Photo-Studies-Methode beantworten die Teilnehmenden die gestellten Fragen mit selbst aufgenommenen Fotos. Für unsere Fragestellung bot sich dies aus zwei Gründen an: Zum einen erhalten wir so einen sehr guten Einblick, wie sich die Studierenden zum Lernen zu Hause eingerichtet haben. Zum anderen konnten wir alle Hygienemaßnahmen einhalten, indem wir den Kontakt per E-Mail aufgebaut haben und die Fotos uns digital zugeschickt wurden. Zusätzlich waren die Studierenden bei der Beantwortung zeitlich recht flexibel. Sie konnten in Ruhe die Fotos aufnehmen und entscheiden, was auf den Fotos zu sehen sein sollte.

Die folgenden fünf Fragen sollten mit Fotos beantwortet werden:

  1. Wo ist der Lieblingsplatz zum Lernen/Arbeiten und was ist der wichtigste Gegenstand?
  2. Wie sah der Arbeitsplatz (während einer Online-Vorlesung) aus?
  3. Wie wird die Pause gestaltet?
  4. Was war das Nervigste/die größte Herausforderung in den letzten Monaten?
  5. Wie sieht das Feierabendritual aus?

Fotos und Erkenntnisse

Insgesamt haben sich 19 Studierende mit 108 Fotos an der Studie beteiligt. Nicht jede:r schickte also die genaue Anzahl von fünf Fotos. Das Team Benutzungsdienste hat die Fotos anonymisiert ausgewertet. Mit der Zusendung haben die Studierenden dem zugestimmt und auch, dass wir die Fotos bei Präsentationen, in Artikeln etc. verwenden können. Die Anzahl der Fotos ermöglichte uns einen guten Einblick in die Arbeits- und Lernbedingungen des Homestudying.

Arbeitsplätze und Stresspunkte

Wichtig zum Arbeiten sind eine stabile Internetverbindung und gute Arbeitsmittel, wie z.B. die technische Ausstattung und auch ein Schreibtisch und Stuhl. Dies sind auch die größten Stresspunkte, wenn sie nicht die Anforderungen erfüllen: Eine störanfällige Internetverbindung ist hinderlich bei Online-Vorlesungen, und unbequeme Stühle sorgen für Rückenschmerzen.

Nur die Hälfte der Teilnehmenden arbeitet an einem richtigen Schreibtisch, die andere Hälfte sitzt am Küchentisch oder anderen umfunktionierten Tischen. Die Platzsituation ist generell oft beengt. Ein räumlicher Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit ist meist nicht möglich.

Pausen und Feierabendrituale

Die Pause verbringen die Teilnehmenden gerne draußen und in Bewegung, z.B. bei einem Spaziergang, auch gerne mit Freund:innen. Der Feierabend wird hingegen überwiegend zu Hause verbracht. Dies entspricht auch den zur Durchführungszeit gängigen pandemiebedingten Vorgaben.

Als Feierabendritual haben wir viele Sport-Bilder erhalten, vom Boxen, Laufen über die Yogamatte waren viele Einzelsportarten dabei. Aber auch das gemütliche Sofa zum Entspannen darf nicht fehlen.

Umgebung und Dekoration

Wie wir bereits bei unserer Befragung 2018 herausgefunden haben, spielen die Umgebung und Atmosphäre des Lernortes eine große Rolle. Diese Bedürfnisse in den eigenen vier Wänden umzusetzen, stellten die Studierenden vor Herausforderungen, die aber gelöst werden konnten. Für eine angenehme Dosis von Tageslicht und frischer Luft waren die Lernplätze oft in der Nähe des Fensters. Außerdem wurde der Platz mit Pflanzen und Kerzen dekoriert. Nicht fehlen durften außerdem Getränke, vor allem Kaffee und Tee, sowie Snacks.

Fazit 1: Lernplätze gut ausstatten

Für uns eher überraschend war, dass viele Studierende nach drei Semestern rein digitalem Studium noch mit eher provisorischen Lösungen arbeiten. Viele arbeiten am Esstisch oder haben einen kleinen Tisch in die Ecke des Zimmers gestellt. Meist steht außerdem nur ein Laptop zur Verfügung, zusätzliche Monitore etc. fehlen. Hier sind definitiv Ansatzpunkte für Bibliotheken, gut ausgestattete Lernplätze zur Verfügung zu stellen. Dies fängt mit großen Tischen und bequemen, ergonomischen Stühlen an, und lässt sich durch technische Ausstattung erweitern, indem man z. B. zusätzliche Monitore anbietet, um das Arbeiten zu erleichtern. Bereiche, in denen man alleine arbeiten kann und trotzdem an Online-Seminaren teilnimmt, waren vor der Pandemie selten in Bibliotheken zu finden. Diese Arbeitsform werden wir zukünftig berücksichtigen.

Fazit 2: Räume für soziale Interaktionen schaffen

Was in der Pandemiezeit oft fehlte, aber umso essenzieller ist, ist der soziale Kontakt. Für Bibliotheken bedeutet das zum einen, dass Plätze zum gemeinsamen Arbeiten in Gruppen wichtig sind. Dafür ist in kleinen WG-Zimmern häufig nicht genügend Platz. Aber auch Bereiche für gemeinsame Pausen und soziale Begegnungsorte, um sich auszutauschen und kreativ weiter zu arbeiten, sind gewünscht. Einen Mehrwert können außerdem Bereiche bieten, in denen kleine Yoga- und Entspannungspausen eingelegt werden können. Nach langem Sitzen haben viele das Bedürfnis nach Bewegung, wie uns auch die Fotos bestätigt haben.

Fazit 3: Die Bibliothek gemeinsam mit Studierenden weiterentwickeln

Es ist sehr spannend, einen Eindruck von den persönlichen Arbeitsplätzen Studierender zu bekommen. Auch das sehr positive Feedback der Teilnehmenden hat uns gezeigt, dass sie es zu schätzen wissen, wenn man auf die persönlichen Bedürfnisse eingehen möchte. Für uns überraschend war, dass uns so offene und persönliche Einblicke ermöglicht wurden. So können wir auf einen lehrreichen und informativen Fundus an Wissen und Inspirationen zurückgreifen, um die Benutzungsdienste für die veränderten Bedürfnisse des Lernens und Studierens nach der Pandemie zu gestalten. Die Angebote können so zielgerichtet und bedürfnisorientiert weiterentwickelt werden.

Reflexion zu Methode und Vorgehen

Für die Umstände (Corona-Pandemie, Homeoffice/-studying) und die Fragestellung aus diesem Kontext, hat sich die Methode der Photo Studies sehr gut geeignet. Wir haben einen Einblick in die privaten Lernumgebungen von Studierenden erhalten, der anders kaum möglich ist. Im Gegensatz zu vorherigen persönlichen Vor-Ort-Studien haben wir bei dieser Online-Durchführung keine anschließenden Interviews geführt. Sollten wir nochmal eine Online-Nutzerbefragung machen, würden wir sie mit einem kleinen Interview verbinden. Dabei haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Bilder zu erläutern. Bei manchen war der Interpretationsspielraum sehr groß und eine Erklärung hätte die genaue Deutung erleichtert.

Den persönlichen Kontakt ersetzt diese Art der Durchführung jedoch nicht. Mit den Studierenden vor Ort ins Gespräch zu kommen und die UX-Methoden persönlich anzuleiten ist ein großer Mehrwert. Es ermöglicht einen fließenden Dialog und Austausch.

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Über die Autorinnen:

Nicole Clasen leitete die Abteilung Benutzungsdienste in der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehörte neben der Informationsvermittlung und den digitalen Benutzungsdiensten auch die Usability Experience. Sie ist auch auf LinkedIn und Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf Sven Wied

Alena Behrens arbeitet als Bibliothekarin in der Abteilung Benutzungsdienste in der ZBW – Leibniz Informationszentrum Wirtschaft. Neben der Tätigkeit an der Servicetheke liegen ihre Arbeitsschwerpunkte in der Informationsvermittlung und User Experience. Sie ist auch auf Twitter zu finden.
Porträt: Alena Behrens©

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